12.Okt. Kashmir

Inhaltsverzeichnis
Vorheriger post

Sa. 12.Okt. Srinagar
War schon etwas verwundert,  als ich früh um 6 niemanden am Taxistand oder am Busstand sah. Als dann doch ein Fahrer kam, bekam ich eine Erklärung. Taxis dürfen erst nach 17:00 nach Kashmir fahren. Welche dumme Regelung. Die 200km nach Srinagar  sind vielleicht eine der spektakulärsten in Kashmir. Irgendwie muss ich während des Tages dorthin kommen. Also erst mal raus aus der Stadt. Bin keine 100m gelaufen,  da stoppt ein Toyota. Ja, er fährt mich  nach Srinagar. Natürlich gibt es hier auch Schwarz Taxis und der Preis, den er für einen Platz haben, will liegt sogar weit unter dem der JK-Taxigesellschaft. So lösen sich Probleme von allein....
Als Privater ignoriert er alle Checkpoints,  an denen ich mich hätte registrieren lassen müssen. Bald sind wir schon 3 Fahrgäste.
Die Straße ist anfangs besser als manche in Deutschland. So folgen wir dem Dras. Mehr Kasernen als Dörfer. Leider spricht niemand in der Runde  Englisch. So versucht man mir irgendwie zu erklären, als wir am Tiger-Hill vorbei kommen, daß hier die größte Schlacht im indisch pakistanischen Krieg war. Die Landschaft wird indes immer grüner, auch je höher wir fahren. Indische Soldaten laufen überall am Straßenrand Patrouille, in schusssicherer Weste und die Maschinenpistole im Anschlag. In den Dörfern wirbt man nichts desto trotz um Touristen. Bald kommen wir wieder in die Gletscher Zone. Ein Schild behauptet, daß im nächsten Tal die zweit niedrigste jemals gemessene Temperatur der Erde  aufgetreten ist. Die vereisten Berge sind aber wahr. Die Straße windet sich unter einem Gletscher höher und höher. Der Durchbruch durch das Gebirge ist nur paar Meter breit und liegt auch "nur" auf 3500m.  Dieser Durchbruch ist aber die Trennstelle zwischen subarktischen und subtropischen  Kashmir. Im Durchbruch kämpft ein Staub-Wirbelsturm gegen einen Föhnsturm. Welches Naturschauspiel.  Innerhalb weniger Meter schaut man in ein Tal  voller Wälder und reißender Flüsse. Es folgt der  Abstieg in einer Steilwand.

Wie eine Perlenschnur hängen die Militärkonvois am Fels und Soldaten sichern den Abstieg, als ob sie jede Minuten einen Angriff erwarten würden.

Fast eine Stunde brauchen wir, um die Straße endlich von unten bewundern zu können. Wir fahren an üppigen Nadel und Laubwäldern vorbei und bald tauchen Dörfer auf, in denen  Walnüsse die Lebensgrundlage bilden.
Kurz darauf wird Reis auf den  Feldern gedroschen und Gemüse wächst in allen Varianten...
20km vor Srinagar. Bei einer Teepause tauchen selbsternannte(?)  kashmirische  Milizen auf. In Zivil aber mit MPis bewaffnet. Mit ihrem mageren English und der Info, das ich aus Deutschland bin,  fällt ihnen nur sofort ein, daß Hitler die Welt von den Juden "befreien" wollte, und das neben Israel in den USA fast alle Leute Juden sind.  Sie haben schon meinen Widerspruch verstanden, nur lies sie ein Anruf in ihren neuen SUV davon fahren lassen. Der eine wollte erst meine Kamera als "Geschenk"  hatte aber wohl meinen entschiedenen Protest nicht erwartet. Bin geschockt...
Als wir weiter fahren, kommen wir durch das  nächste Dorf und mein Fahrer muss "Wegezoll" an ebenfalls Bewaffnete zahlen.  Ist nicht so viel und er bekommt sogar ein Stück Papier als Quittung, aber es wird wirklich jeder angehalten...
In den Außenbezirken  Srinargars bestimmen indische Militärs wieder das Straßenbild und ich sehe, wie sie Jugendliche stoppen und durchsuchen... Kashmir ist im Kriegszustand.
Mein Fahrer lädt mich in der Nähe meines Guesthouse von vor zwei Jahren ab. Srinagar lebte bis vor kurzem vom Tourismus. Kein Wunder, bei dem was die Stadt zu bieten hat.
Auf dem Dal See (immer noch 1600m hoch) liegen hunderte von Hausbooten und ein groß Teil des Lebens spielt sich auf und am Wasser ab. Es wimmelt von leeren GH und Hotels und jeder versucht mich zu überreden auf seinem Hausboot zu schlafen oder mich durch das Wasserlabyrinth zu staken.  Viele wissen nicht, womit sie ihre Familien ernähren sollen. Es gibt zwar Lebensmittel aber ohne Einkünfte fehlt das Geld sie zu kaufen.  In meinen GH bin ich der einzige Gast.  Srinagar ist nun schon fast 3 Monate komplett vom Hanynetz und Internet getrennt. Die Leute sind regelrecht heiß darauf, mir Geschichten der Vorkommnisse der  letzten Zeit zu berichten. Ob und was davon wahr ist, kann ich nicht sagen. Ist alles eine ziemlich verfahrene Sache.... Sitze noch lange mit meinem GH Vater und einem Freund in der Küche und erzählen und erzählen. Ab 22:00 ist Ausgangssperre und der Strom wird  abgeschalten. Noch ist die Powerbank von gestern voll und lädt erstmal das Handy und das  Tablet wieder auf.
PS: Aus unserer Küchen Runde zur Polygamie im Islam: Männer dürfen hier nur dann mehrere (bis 3?)  Frauen heiraten, wenn die erste Frau zustimmt. Die folgenden Frauen sind dann meist aus armen Familien und es gilt als gute Tat, diese Mädchen und ihre Familien so zu "unterstützen".   Für mehrere Frauen muss man aber  wohlhabend sein.- no comment..

So. 13.Okt. Old town of  Srinagar
Um fünf schalten alle Lautsprecher der Moscheen (hier gibt es keine Minarette) ein. Einer davon muss unter meinem Fenster stehen. Volle 45Minuten erschallt das Morgengebet. Ich sehe es mal als " world music" und dann ist das zu dieser Zeit auch OK, zumal der Muiziin eine tolle Stimme hat... Hatte gestern abend noch meine verdreckten Sachen gewaschen. Da sich in der Nacht Nebel über die Stadt gelegt hat, sind sie genau so feucht wie nach der Wäsche.
Keine 100m vom GH entfernt, wird frisches Fladenbrot nach Kashmir Art gebacken. Noch heiß schmeckt es richtig gut, kalt wird es aber zäh.  Um nur etwas vor zu planen erkundigen ich mich am Busbahnhof nach der Verbindung nach Jammu.  Täglich um 8:00 und 17:00. Der erste Bus wird mal meiner werden. Lasse mich in und durch die Altstadt von Srinagar treiben.
Immer mehr der alten Holzhäuser verfallen, auch wenn sie zum Teil noch bewohnt sind.  Die meisten  der Shops, die sich hinter den schweren Rollläden verbergen sind seit Wochen geschlossen.

Das ist der Generalstreik als politischer Protest gegen Indien.
In der Altstadt steht auch die größte und vielleicht auch älteste Moschee der Stadt.

Fast völlig aus Holz gebaut und voller farbiger Ornamentbemalungen. Darf nur bis an die Tür aber was ich schon da sehe, ist richtig beeindruckend.
Männer !  stehen am Jhelum River und waschen in dem Müll beladenen Fluss Wäsche.
Hand betriebene Schleudern nehmen ihnen wenigstens etwas die Arbeit ab. Andere Bewohner kommen extra auf eine der vielen Brücken um Karton/Säckeweise ihren Müll im Fluss zu entsorgen.
Kaufe mir an einem Stand frittierte Zwiebeln im Teigmantel. Die schmecken besser, als die mit undefinierten Etwas gefüllten Samosas. Zwei junge Kashmiri wollen mich erst warnen durch die Slums der Altstadt zu laufen. Einer wird in 3Wochen in Posen/Polen ein Studium anfangen.
Wir kommen ins erzählen und eine halbe Stunde später sitzen wir bei seiner Familie zu Hause. ...
Komme mir in der Stadt fast wie der Kummerkasten von Kashmir vor.  Jeder  muss mir seine Wut über die indische Besatzung mitteilen, selbst ein Polizist  lässt kein gutes Wort an der Zentralregierung und an Modi.

Auf dem Heimweg erschallt aus einem Haus ein vierstimmiger Männerchor. Ist ein islamisches Fest.  Die Männer singen sich fast in Trance , schlagen sich dabei auf die Brust, manche beginnen sogar an zu weinen. Ein Vorsänger peitscht die Massen immer mehr an.   Mein Bauchgefühl sagt mir, dass ich lieber gehen sollte.... (Nachtrag : Sie gehörten zur kleinere schiitische (iranischen)  Gruppe der Muslime hier in Srinagar)


 Mo. 14.Okt.  Der Dal Lake

Wenn man den Dal Lake auf der Karte sieht, ist er größer als Srinagar selbst und daß was ich davon bisher  gesehen habe ist nur ein Bruchteil. Ungefähr in der Mitte scheint ein Fußgänger Damm oder  -Brücke darüber zu laufen. Schätze, daß diese halbe Umrundung an die 25km lang ist, eine ideale Tagesaufgabe.
Nachdem mich der Muezzin wieder geweckt hat, bin sich schon kurz nach sieben auf dem beginnenden Morgenmarkt. Hatte schon gestern bei einer Spezialität von hier zugeschlagen. Kichererbsenbrei auf ein Fladenbrot und darauf eine Yogurt Chili Mischung. Daß der Verkäufer alles mit den bloßen Händen auf des Fladenbrot streicht ist halt Indien...


An einen Zeitungsstand lese ich die headline des Kashmir Observer. Modi will das Aussetzen des Artikel 370 rückgängig machen. (Damit wurden vor 3 Monaten die Sonderrechte von Kashmir aufgehoben und seit dem ist Srinagar  auch im Generalstreik )   Kaufe mir das Blatt, aber viel mehr als die Ankündigung und das er sich dabei noch Wochen Zeit lassen will ist nicht zu erfahren.
Komme zu irgendeinem muslimischen Fest (ein Festzelt für das Fest der Frauen und ein Zelt für das der Männer). Niemand hier traut der Zeitungsmitteilung,  auch dann nicht, als kurz nach neun ohne Vorankündigung nach 3 monatige Blockade das Handynetz wieder funktioniert - Internet bleibt aber tot.
Erst laufe ich durch die Stadtteile, die nahe am Ufer liegen.
Dann führt ein Holzsteg über Sumpf immer weiter in den See.

Der Dal ist nur an die 50cm tief und so ist es möglich Hochbeete aufzuschütten. Oder man baut  einfach diverses Wassergemüse( Wasserkastanien, Losus...) an.
Die Farmerhäuser stehen wie auf Inseln und es gibt ein regelrechtes Wegenetz von  Holzstegen. Manche Teile sind aber einfach nur voller Schilf. Sieht schon toll aus, wie die Bauern mit ihren Booten von Feld zu Feld rudern, oder Kühe auf 5qm Inselchen ausharren.

Werde von einem der Farmer auf seinen Inselhof gewunken. Sind bereiten ein Kw...z vor.  Ist ein fleischlastiges Festmahl der Kashmiri. Neben dampfenden Fleischtöpfen wird Schaffleisch regelrecht zermatscht, dass nur noch eine Art Brät übrig bleibt (Leberkäs auf Kashmiri Art).

Lasse vorsorglich den Vegetarier heraus hängen und bekomme so nur Salztee mit Roti.(nur in Ladakh kommt in den Salztee noch zusätzlich Butter).
Es gibt sogar Inseldörfer 
aber irgendwann enden die Stege im Nichts oder an paar fest gezurrten Booten.
Neuer Steg, neues Glück. Mein sonst so zuverlässiges Orux-Map versagt kläglich.  Dann finde ich doch noch den Damm der mich über 5km zum östlichen Ufer des Sees bringt.
Hier draußen gibt es nur noch Seelilien und eine Art Erntemaschine versucht den Bewuchs etwas Einhalt zu gebieten.  Es gibt am See hunderte, vielleicht sogar tausend Fischadler.
Die Fleisch- und  Schlachtabfälle der Leute lassen sie in Tiefflug durch die Dörfer jagen.
Zurück in Srinagar bin ich ganz schon platt. Sind doch 35km geworden. Lasse mich breit schlagen und mich auf einem Boot noch eine Stunde durch das Touri Eck des Dal Sees rudern. Einmal als König auf weichen Kissen  um die Hausboote und die dahinter liegenden schwimmenden Touristen Läden.  Ist die 3 Euro aber nicht Wert.


Die Stadt hat wieder keinen Strom aber für die Lautsprecher des Abendgebet müssen wohl zig Stromgeneratoren angeworfen worden sein.  Nur gut, daß ich gestern die Powerbank voll laden konnte.
Werde den Wecker auf fünf stellen, denn von hier zum Busbahnhof laufe ich bestimmt eine Stunde... Glaube morgen ist auch Divali, das hinduistische Lichterfest. Würde ja passen, wenn ich dazu  im ebenfalls hinduistischen Jammu ankomme.
Und morgen Abend will ich endlich wieder mal Online sein.

Kommentare